Heute, am Montag, den 28. Dezember 2020, wurde der Prozess gegen Joachim S. fortgesetzt, nachdem ein ursprünglich für den 11. Dezember geplanter Prozesstag wegen eines Corona-Ausbruchs in der JVA-Preungesheim ausgefallen war. Der Brandstifter Joachim S. sitzt dort in U-Haft. Am sechsten Verhandlungstag vor der 4. Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts wurden die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehalten.
Die Staatsanwältin Jacobi von Wangelin ging in ihrem Plädoyer auf die einzelnen Taten ein und stellte fest, wie diese aus ihrer Sicht im Bezug Nachweisbarkeit, Straftatbestand und Strafmaß zu bewerten seien. Von den insgesamt 16 verhandelten Taten waren fünf Taten bereits am vierten Prozesstag eingestellt worden, weshalb sie sich in ihren Ausführungen nur noch auf die elf übrigen Taten bezog. Die im Plädoyer vorgeworfenen Delikte reichten von Sachbeschädigung über Brandstiftung bis hin zur schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Körperverletzung, teils wurden die Taten nur als Versuch gewertet, weil rechtzeitig gelöscht wurde oder die Brände von selbst ausgegangen waren.
Die ihrer Auffassung nach schwerste Tat, hat Joachim S. am 20. Oktober 2019 in Niederursel begangen. Hier hatte er einen Rollladenkasten an einem Wohnhaus in Brand gesteckt. Die Staatsanwältin betonte hier sein planvolles Vorgehen. Die betroffene Bewohnerin war durch den Rauch leicht verletzt und durch den Brand so schwer traumatisiert worden, dass sie sich bis heute in psychologischer Behandlung befindet. Allein für diese Tat setzte die Staatsanwältin ein Strafmaß von 4 ½ Jahren an. Sie betonte, dass es auch bei anderen Straftaten teils zu erheblichen Gefährdung von Menschen gekommen sei, und es nur der meist schnellen Entdeckung zu verdanken sei, dass nicht mehr geschehen sei. Erstaunlicherweise wertete sie das schnelle Entdecken und Löschen in Bezug auf andere Taten teils als leicht strafmildernd.
Für eine andere Tat am 20. Oktober 2019, bei der Feuer auf einem Balkon gelegt worden war und eine Scheibe zum Wohn- und Schlafraum der anwesenden Bewohner*innen platzte, forderte die Staatsanwältin einen Freispruch, da die Beweise für diese Tat nicht ausreichen würden. Ihr war aber wichtig zu betonen, dass trotz Mangel an Beweisen allen im Saal klar sei, dass S. der Täter sei.
Insgesamt ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie in Joachim S. und seinen Taten eine große Gefahr sehe und dieser zwar psychisch auffällig aber bei allen Taten voll zurechnungs- und handlungsfähig gewesen sei. Die Behauptungen von S., er sei bei seinen Taten so betrunken gewesen, dass er sich kaum erinnern könne was er getan habe, stellte sie als vollkommen unglaubwürdig dar. Hierbei nahm sie immer wieder Bezug auf die Aussagen der Zeug*innen, die S. als kontrolliert und ohne Ausfallerscheinungen wahrgenommen hatten. Bezugnehmend auf das psychiatrische Gutachten, beschrieb sie S. als manipulativ, mit hohem Geltungsdrang, der die Schuld für sein Handeln immer nur bei anderen und nie bei sich selbst gesucht habe. Sie wisse nicht, ob sie jemals einem so intelligenten Angeklagten gegenübergesessen hätte. Seine Einlassungen, Geständnisse und Entschuldigungen seinen meist erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, wenn die jeweiligen Taten bereits zweifelsfrei bewiesen worden seien. Deshalb seien die Geständnisse nur geringfügig als strafmildernd anzusehen.
In Bezug auf den Brandanschlag in der Metzgerstraße am 21. Dezember 2018 beschrieb sie die Aussagen der Zeug*innen als sehr glaubwürdig. Da sich während der Brandstiftung etwa 15 Personen im Raum befunden hätten, wertete die Staatsanwältin diese Tat als schwere Brandstiftung mit einem Strafmaß von 3 Jahren.
Auch in Bezug auf den Anschlag am 26. Juli 2019 auf das Wohnprojekt des Lila Luftschlosses bewertete sie die Aussage der Person, die S. auf frischer Tat ertappte und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten hatte als sehr glaubwürdig und detailliert. Allerdings sei die Tat hier nur als Sachbeschädigung zu werten, da ein Übergreifen des Feuers auf das Gebäude kaum möglich gewesen sei.
Jacobi von Wangelin war es in Bezug auf diese beiden Taten erstaunlicherweise dann doch noch wichtig, in ihrem Plädoyer explizit darauf einzugehen, dass im Prozess nicht festgestellt werden konnte, dass sich diese beiden Straftaten gegen die linke Szene gerichtet hätten. In der Metzgerstraße sei S. nur zufällig in linker Szenelokalität gelandet. Auch in Bezug auf das Lila Luftschloss habe S. das Ziel nicht bewusst gewählt. Dies sei unter anderem daran erkennbar, weil er sich nicht von vorne, sondern von der Seite dem Gebäude genähert habe (sic!). Ihre Ausführung steht hier im Widerspruch zu den polizeilichen Ermittlungen. Am dritten Prozesstag hatte ein Beamter ausgesagt, das S. den »optimalen Weg« über das Nachbargrundstück genutzt habe, weil er sich wohl auskannte. Nach Einschätzung der Polizei habe der Täter das Lila Luftschloss gezielt »angreifen« wollen.
Diese Feststellung der Staatsanwältin ist besonders perfide, da sowohl sie als auch das Gericht im gesamten Prozess alle Fragen und Indizien zu Joachim S. politischer Motivation bewusst ausgeklammert hatten. Keine Rede war davon, dass der Brandstifter zwischen 2015 und 2017 bundesweit dutzende linke und feministische Wohnprojekte bei Behörden u.a. wegen Formfehlern in Bilanzen denunziert hatte – darunter auch das Lila Luftschoss. Auch seine Spenden an die Rechtsaußenpartei AfD spielten keine Rolle. Ignoriert wurde außerdem, dass S. sich in Chatverläufen abfällig über linke Wohnprojekte geäußert hatte. All das ist Bestandteil der Ermittlungsakten und hätte von der Staatsanwaltschaft im Verfahren nicht nur zum Thema gemacht werden können, sondern gemacht werden müssen. Ganz zu schweigen davon, dass das Lila Luftschloss bei der verhandelten Tat bereits zum dritten Mal Ziel eines Brandanschlags wurde. Auch die Brandanschlagsserie auf linke Zentren und Wohnprojekte zwischen September 2018 und Juli 2019 wurden – abgesehen von den beiden verhandelten Taten dieser Serie, bei denen S. auf frischer Tat ertappt wurde – von der Staatsanwältin mit keinem Wort erwähnt.
Das die Staatsanwältin in den Ermittlungen und im Prozess all das ausklammert um dann zum Schluss zu kommen, es habe keine politische Motivation gegeben, ist kein Versehen oder Schlamperei, sondern eine bewusste Entscheidung und ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen!
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft endete mit dem Antrag auf insgesamt 10½ Jahre Haft für Joachim S.
Die Verteidiger*innen von Joachim S. hatten sich ihre Plädoyers nach den einzelnen Delikten aufgeteilt. Zuerst äußerte sich der Pflichtverteidiger und schwadronierte darüber, dass es den Brand in der Metzgerstraße gar nicht gegeben habe. Joachim S. sei auf dem Weihnachtsmarkt saufen gewesen und habe einfach weiter trinken wollen und sei dann in der Metzgerstraße gelandet. Interessant war, dass er in seinem Plädoyer explizit die Denunziationen seines Mandanten gegenüber des Mietshäuser Syndikats erwähnte, die im Prozess bisher keine Rolle gespielt hatten. Zudem erwähnte er, dass S. sich beim Barabend auch über eine am nächsten Tag stattfindende Demo der linken Szene wegen der Brandanschläge unterhalten habe. Vollkommen absurd wurden seine Ausführungen, als er behauptet, S. sei ja wegen seiner Aktionen gegenüber dem Mietshäuser Syndikat bereits mit Fotos auf linken Internetplattformen bekannt gewesen. In seiner Ausführung behauptete er weiter, deshalb habe man seinem Mandanten in der Metzgerstraße erkannt und entschieden Joachim S. etwas reindrücken zu wollen. Später sei S., der einfach nur mit dem Bus habe nach Hause fahren wollen, dann am Freiheitsplatz überfallen worden (sic!). Die Glaubwürdigkeit einiger Zeug*innen versuchte er zu beschädigen, indem er behauptete, diese hätten sich verdächtig gemacht, weil sie mit Anwalt zur polizeilichen Vernehmung erschienen seien.
Ständig wiederholte sich der Pflichtverteidiger in seinen Ausführungen und verlor dabei immer wieder den Faden. Zudem verdrehte er vollkommen die Tatsachen und vertauschte Ursache und Wirkung: Der Brandanschlag auf die Metzgerstraße erfolgte am 21. Dezember 2018 und im Rahmen der Festnahme schnappten Gäste den Namen des Täters auf. Erst am 7. Januar 2019 veröffentlichte das Mietshäuser Syndikat in einer Pressemitteilung, dass Joachim S. wegen seiner Denunziationen zwischen 2015 und 2017 bei dem Zusammenschluss linker Wohnprojekte bereits Einzelnen – durch Akteneinsicht – namentlich bekannt gewesen ist. Am 14. Januar 2019 folgte ein Outing von Antifaschist*innen am Wohnort Joachim S.‘ und im Zuge dessen wurden auf de.indymedia.org zwei Artikel (1, 2) veröffentlicht in denen S. mit Foto und Namen genannt wurde.
Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht die absurden Ausführungen des Pflichtverteidigers bewertet.
Die Wahlverteidigerin von Joachim S. versuchte anschließend einige Taten anders einzuordnen und milder zu bewerten als die Staatsanwaltschaft. So sah sie beispielsweise bei einer Tat am 3. Dezember 2019, bei der Joachim S. im Keller eines Wohnhauses einen Rasenmäher in Brand gesteckt hatte, nur eine einfache und keine schwere Brandstiftung, da zwischen dem Außenkeller und Wohnhaus keine direkte Verbindung bestanden habe und damit nicht das Wohnhaus Ziel der Brandstiftung gewesen sei. Auch bei einem Mülltonnenbrand am 9. Dezember 2019 sah sie, anders als der Staatsanwältin, keine Gefahr, dass das Feuer auf ein Haus hätte übergreifen können, weshalb hier nur eine Sachbeschädigung und keine schwere Brandstiftung vorliegen würde.
Strafmindernd sei außerdem, dass S. Schadenswiedergutmachungen gezahlt und Einlassungen gemacht habe sowie geständig sei. Zusätzlich sei die über ein Jahr andauernde U-Haft unter Coronabedingungen als strafmildernd zu bewerten. Für ihren Mandanten forderte sie ein Strafmaß von 4 Jahren.
Anschließend hatte Joachim S. das letzte Wort: Er entschuldigte sich für seine Taten und behauptete, sich nüchtern betrachtet überhaupt nicht erklären zu können, was ihn dazu getrieben habe. Dabei zeigte er keinerlei emotionalen Regungen und ließ jede Emphatie für die Betroffenen vermissen. Ähnlich wie bei seinen bereits gemachten Einlassungen, versuchte er die Taten mit seinem Alkoholkonsum zu erklären – wohl mit dem Ziel, Strafminderung zu erreichen.
Die Urteilsverkündung ist für Freitag, den 8. Januar 2021 um 13 Uhr angesetzt.